Von den ersten Schneeglöckchen, Hitler und dem bösen Wolf

Ein warmer Vorfrühlingstag, ich gehe in den Garten, pflücke ein paar Schneeglöckchen, rieche den zartsüßen Duft ihrer Blüten, die herbe Bitternis an den Bruchstellen der Stiele, und plötzlich sind sie da, die Schneeglöckchen aus weit entfernten österreichischen Nachkriegskindertagen.

Jedes Jahr, wenn ich dachte, der Winter nähme gar kein Ende mehr, kam Anfang März einmal der Tag, an dem ein warmer Wind den Schnee zum Schmelzen brachte und ein Geruch von nasser Erde, verwelktem Gras und frischem Grün in der Luft lag. So roch der Frühling. Zeit für den Wolfsberg!

An unsichtbaren Fäden zog es mich, vorbei am Friedhof, aus der Stadt hinaus, ein Stück den Schotterweg entlang bis zu der großen Birke, da zweigte er dann ab, der Pfad, der schmale, nur für Eingeweihte.

Auf Schneeresten, in denen die Schuhe bis zum Boden durchsackten, ging es bergauf durch Nadelwald und Buschwerk, bis ich plötzlich vor einer riesigen, in den Berg einbetonierten Öffnung stand. Das war der Wolfsbergtunnel. Jemand hatte einmal gesagt, der Hitler habe ihn noch zu Ende des Krieges bauen lassen, und da diese Bemerkung mit einer gewissen Bewunderung ausgesprochen worden war und mir dieser Name bis dahin weder zuhause noch in der Schule untergekommen war, stellte ich mir vor, dieser Hitler wäre vielleicht ein berühmter Baumeister gewesen.

Da stand ich nun und schrecklich tat sich dieser Schlund vor meinen Augen auf. Mit eisernen Fingern umklammerte das Grauen meine Brust, trotzdem unterließ ich es kein einziges Mal, seitlich an der von Brombeergestrüpp eingewachsenen Mauer, die den Tunnel von unten her verschloss, hinauf zu klettern und einen Blick hinein zu werfen. Nichts als undurchdringlich schwarze Leere! Rotkäppchen war ich im weit aufgerissenen Rachen des Wolfes - und er verschluckte sie alle, mit Haut und Haar!

Kurz nur hielt ich stand, mit zitternden Knien kletterte ich ab und lief davon, als wäre der Leibhaftige mir auf den Fersen. Erst wenn ich weit genug weg war, verlangsamte sich mein Schritt, dann wusste ich, nun war es nicht mehr weit, ein paar Minuten nur noch, und ich war am Ziel.

Eine Hochebene, Erlen auf sumpfigem Boden, Schneereste, Binsen, Verwelktes und Wasser, in dem sich Erlen und Himmel spiegelten, und ich suchte und fand sie, die ersten Schneeglöckchen.

Wie kleine Dolche durchbohrten sie den Schnee. Auf der Suche nach den ersten aufgeblühten musste ich gut aufpassen, wohin ich meinen Fuß setzte, und da, ein paar Schritte weiter ein Doppler - schon sickerte Wasser in den Schuh, aber was machte das schon, so ein Exemplar mit zwei Glöckchen an einem Stiel brachte

Glück! Wenn ich ein Sträußchen beisammen hatte, machte ich mich auf den Rückweg. Den wählte ich anders, um nicht wieder am Tunnel vorbei zu müssen.

Zuhause überraschte ich meine Mutter – die Blumen hinter meinem Rücken versteckt, stellte ich mich vor sie hin, fragte rechts oder links, und wenn sie richtig geraten hatte, hielt ich ihr die Schneeglöckchen hin. Sie nahm das Sträußchen, hielt es an ihr Gesicht, schloss die Augen, genoss den zarten, bittersüßen Duft und freute sich.

Sie fragte nicht und ich konnte mein Geheimnis für mich behalten.